Direkt zum Inhalt

Fremdgehen: Ist unsere Beziehung noch zu retten?

Wenn der Partner oder die Partnerin fremdgeht, ist die Beziehung oft zu Ende. Das muss aber nicht sein. Wenn die Voraussetzungen stimmen, lässt sich gemeinsam wieder glücklich werden. Und stärker.
Tschüß!

»Ich habe das abgehakt«, sagt Sophia in einer ihrer Therapiesitzungen. Trotzdem plagen sie oft Kopf- und Bauchschmerzen sowie andere Beschwerden, und sie regt sich wegen jeder Kleinigkeit maßlos über ihren Lebensgefährten Nicolas auf. Als sie eines Tages nach Hause kam, erwischte sie ihn bei einem Telefongespräch. So erfuhr sie von seiner Affäre. Nachdem sie sich ausgesprochen hatten und Nicolas sich entschuldigt hatte, konnte sich das Paar nach ein paar kräftezehrenden Wochen wieder zusammenraufen. Doch auch wenn Sophia es nicht zugeben möchte: Das Ganze ist nicht spurlos an ihr vorübergegangen.

Ein Seitensprung ist nicht das einzige Geheimnis, das Paare in eine Krise stürzen kann. In einer Online-Umfrage, die ich kürzlich durchgeführt habe, sollten die Teilnehmer angeben, welche Arten von Unehrlichkeit das Vertrauensverhältnis am meisten schädigen. Neben der Untreue nannten die Probanden häufig Situationen, in denen ein Partner seine wahren Gefühle oder Absichten verschweigt. Etwa, wenn jemand vorgibt, eine Beziehung eingehen zu wollen, sich in Wirklichkeit jedoch nicht sicher ist und zögert. Ähnlich unbeliebt waren Lügen über die Gesundheit, die Arbeit oder den Kontostand, aber auch Treffen mit dem Expartner oder der Expartnerin. Das Schlusslicht bildeten die kleinen, oft als weniger schwer wiegend empfundenen Alltagsflunkereien. Auffällig war allerdings, dass mehr als ein Viertel der 189 Teilnehmer die Umfrage bereits nach der ersten Frage abbrach. Sie zielte darauf ab, in Erfahrung zu bringen, wie häufig gelogen wird. Das zeigt, wie viel Unbehagen das Thema Unehrlichkeit bei vielen Paaren offenbar auslöst.

Jeder, der selbst schon einmal bei einem wichtigen Thema belogen wurde, weiß, in was für ein Gefühlschaos einen eine solche Lüge stürzen kann. Doch muss man deshalb gleich alles hinwerfen? Nicht unbedingt. Viele Paare, die zu mir in die Beratung kommen, lieben sich nach wie vor. Wie also übersteht man solche Situationen am besten, und was hilft einem dabei, die richtigen Entscheidungen zu treffen?

Grundsätzlich wird in Partnerschaften oft gelogen. Die Psychologin Claudine Biland zieht aus verschiedenen Untersuchungen folgende Bilanz: Bei Paaren, die schon eine gewisse Zeit zusammen sind, kommt auf zehn Interaktionen, die jeweils mindestens zehn Minuten dauern, eine Lüge. In ganz frischen Beziehungen wird im Schnitt sogar bei jeder dritten Interaktion die Unwahrheit gesagt. Man übertreibt bei der Schilderung der eigenen Erfolge, korrigiert die Zahl der Zigaretten, die man täglich raucht, ein wenig nach unten und verschweigt seine kleinen Macken. Kurzum: Man versucht, sich im besten Licht darzustellen.

Etwas bewusst zu verschweigen, wird häufig als genauso gravierend empfunden wie eine glatte Lüge

Auch Ungesagtes spielt hierbei eine Rolle: Etwas bewusst zu verschweigen, wird häufig als genauso gravierend empfunden wie eine glatte Lüge. Selbst dann, wenn es aus Rücksicht auf andere erfolgt und etwa die Gefühle des Gegenübers schonen soll. Denn wer hört schon gerne, dass er in seinem neuen Kleidungsstück in Wahrheit aussieht wie ein Papagei?

Männer und Frauen lügen im Schnitt gleich häufig, allerdings auf unterschiedliche Weise. Im Jahr 1996 baten Bella DePaulo und ihr Team von der University of Virginia rund 150 Teilnehmer, eine Woche lang Tagebuch darüber zu führen, mit wem sie interagierten und wie oft und auf welche Art sie logen. Dabei entdeckten die Forscher, dass Frauen ebenso oft die Wahrheit verdrehten wie Männer, es aber eher aus »altruistischen« Motiven taten, also zum Beispiel um andere nicht zu verletzen. In meiner Umfrage, die speziell auf Lügen in Paarbeziehungen abzielte, konnte ich zudem noch weitere Unterschiede ausmachen: Während beide Geschlechter in gleichem Maß dazu neigen, die eigene Untreue oder schwindende Gefühle unter den Teppich zu kehren, verschleiern Männer vorzugsweise ihre persönlichen Probleme – seien sie nun finanzieller oder juristischer Natur. Außerdem verschweigen sie häufiger, dass es sich bei ihrer »Bekannten« in Wirklichkeit um die Expartnerin handelt. Frauen lassen ihren Partner hingegen gern darüber im Dunkeln, wie sie ihre Zeit ganz allgemein verbringen.

Einen Schlussstrich ziehen oder die Beziehung retten?

Fliegt eine Lüge auf, stellt sich für Betroffene zuallererst die Frage, wie sie ihre Energie nun einsetzen wollen: Wollen sie an ihrer Beziehung arbeiten oder sich von ihr verabschieden? Anfangs kann es schwerfallen, darauf eine eindeutige Antwort zu finden.

Wer sich entscheidet, mit dem Partner oder der Partnerin zusammenzubleiben, der sollte ehrlich mit sich sein – und mit dem, was geschehen ist. Meist hilft es, seine Emotionen aufzuschreiben: Nehmen Sie sich ein Blatt Papier und schreiben Sie auf, wie Ihr Partner oder Ihre Partnerin Sie belogen hat und welche Gedanken und Gefühle diese Lüge bei Ihnen konkret ausgelöst hat.

Im zweiten Schritt ist es wichtig, die eigenen Gefühle zu akzeptieren. Wut, Schuld, Trauer, Verwirrung und Angst sind oft schmerzhaft. Zudem nagt ein Betrug auch an unserem Selbstbild: Zwar geben wir dem anderen die Schuld daran, dass er uns bitter enttäuscht hat, aber gleichzeitig neigen wir dazu, uns selbst abzuwerten (»Ich werde behandelt wie ein Kleinkind, dem man die Wahrheit nicht zumuten kann«, »Offenbar bin ich so unerträglich, dass man mich anlügen muss«). Frauen können im Schnitt schlechter mit Lügen leben als Männer: Sie tendieren eher dazu, endlos über das Geschehene nachzugrübeln. Letztlich ist es allerdings völlig individuell, wie jemand mit einer Täuschung umgeht. Auch unsere Persönlichkeit und unsere eigene Geschichte haben darauf Einfluss.

So lernen Sie, negative Gefühle zu akzeptieren

Hat der Partner einen belogen oder gar betrogen, ist es wichtig, alle negativen Gefühle zunächst gründlich zu verarbeiten. Passiert das nicht, können diese Emotionen immer wieder hochkommen und einer erfüllten Beziehung im Weg stehen. Eine Übung, die auf Achtsamkeitsmeditation basiert, kann hierbei helfen:

  • Setzen Sie sich bequem auf einen Stuhl und nehmen Sie eine aufrechte und würdevolle Haltung ein.
  • Schließen Sie die Augen und konzentrieren Sie sich für einige Momente auf Ihre Atmung, ohne zu versuchen, irgendetwas daran zu ändern.
  • Dehnen Sie dann Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren gesamten Körper aus. Nehmen Sie alle angenehmen und unangenehmen Empfindungen wahr. Versuchen Sie nicht, etwas daran zu ändern.
  • Sollten Sie abgelenkt werden, nehmen Sie auch das wahr und kehren Sie einfach wieder zu Ihrem Körper zurück, der hier und jetzt atmet.
  • Nehmen Sie all die Gefühle und Gedanken an, die mit der Lüge Ihres Partners oder Ihrer Partnerin in Zusammenhang stehen. Atmen Sie gezielt in sie hinein. Vielleicht spüren Sie sie in einem Teil Ihres Körpers besonders deutlich.
  • Sollten vor Ihrem geistigen Auge Bilder entstehen, stellen Sie sich vor, dass Sie sie auf eine Leinwand projizieren und wie einen Film betrachten.
  • Atmen Sie weiter in diese unangenehmen Gefühle hinein, und sagen Sie sich selbst: »Ich bin damit einverstanden, so zu fühlen. So ist das eben im Moment.«

Üben Sie im Idealfall regelmäßig etwa 20 Minuten lang. Diese Übung ist ein wichtiger erster Schritt, um den Schmerz zu überwinden. Indem Sie ihn akzeptieren, verschwenden Sie Ihre Energie nicht damit, gegen bestimmte Gefühle anzukämpfen, sondern können sich auf die Suche nach einer konstruktiven Lösung konzentrieren. Es klingt paradox, aber bevor es Ihnen besser gehen kann, müssen Sie sich selbst erst eingestehen, dass es Ihnen schlecht geht.

Manche Situationen wecken Emotionen, die sich regelrecht ins Gedächtnis einbrennen. Etwa wenn der Partner oder die Partnerin fremdgegangen ist. Der US-Psychologe Dennis Ortman diagnostiziert in solchen Fällen auch eine »Post-Untreue-Belastungsstörung«, die sich ähnlich auswirken kann wie eine Posttraumatische Belastungsstörung. Die Betroffenen sind enttäuscht, wütend, ängstlich und gereizt. Wieder und wieder kauen sie den Betrug durch, leiden unter Albträumen und Flashbacks. Sie glauben, nie wieder jemandem vertrauen und ihr Leben nie mehr einfach so genießen zu können. Der andere ist ihnen plötzlich fremd.

Negative Gefühle können so intensiv sein, dass wir sie am liebsten zur Seite schieben. Doch das wäre ein Fehler: Auf diese Weise lernen wir nicht, mit dem Erlebten umzugehen. Irgendwann holen uns die Gefühle wieder ein. Wut und Trauer kehren dann beim kleinsten Ärger zurück, und die Situation schaukelt sich zunehmend hoch. Achtsamkeitsmeditation kann eine wertvolle Unterstützung dabei sein, sich der eigenen Gefühle bewusst zu werden und sie anzunehmen (siehe »So lernen Sie, negative Gefühle zu akzeptieren«).

Lügen haben viele Gründe

Anschließend sollten die Belogenen versuchen zu verstehen, was passiert ist. Lügt jemand, kann das die unterschiedlichsten Gründe haben: etwa, um ein unangenehmes Gefühl oder eine unangenehme Situation zu vermeiden (wie einen Konflikt oder eine Blamage); um etwas zu bekommen (eine Belohnung, Bewunderung, Macht); um die Privatsphäre zu schützen; um jemand anderem Kummer zu ersparen oder um eigene Schwächen oder einen Teil der Persönlichkeit zu verbergen. Meist kommen beim Lügen mehrere Faktoren zusammen.

Gerade bei gravierenden Lügen oder bei Untreue kann ein tieferes Verständnis für die Ursachen helfen, die Vergangenheit zu akzeptieren und ein tragfähiges Fundament für einen Neuanfang zu finden. Eine Übung wirkt dabei manchmal unterstützend: Erzählen Sie von Ihrer Beziehung und analysieren Sie dabei, welche konkreten Motive zu den Lügen geführt haben und wie sie sich verhindern lassen (siehe »Den Wurzeln der Unaufrichtigkeit auf den Grund gehen«).

Den Wurzeln der Unaufrichtigkeit auf den Grund gehen

Schritt 1: Schreiben Sie die Geschichte Ihrer Beziehung so detailliert wie möglich auf. Stellen Sie sich vor, Sie wollten jemand anderem davon erzählen. Beginnen Sie mit Ihrer ersten Begegnung und dem Umfeld, in dem sie stattgefunden hat. Erzählen Sie dann von den angenehmen und unangenehmen Dingen, die Sie erlebt haben. Wie hat sich Ihr Partner oder Ihre Partnerin in der Vergangenheit verhalten? Welche Charaktereigenschaften zeichnen die Person aus? Wie fühlen Sie sich an ihrer Seite? Berichten Sie dann, wie Sie die Lüge aufgedeckt haben und wo Sie heute miteinander stehen. Beschreiben Sie für jede Phase genau, wie Sie sich gefühlt und was Sie gedacht haben. Stellen Sie sich auch vor, was Ihr Partner oder Ihre Partnerin gefühlt und gedacht hat. Lesen Sie das, was Sie aufgeschrieben haben, nicht noch einmal durch und kommen Sie nicht mehr darauf zurück. Sie müssen nicht alles auf einmal zu Papier bringen. Wenn Sie Ihre Erzählung später weiterschreiben wollen, dann lesen Sie bitte immer nur den letzten Satz, um zu sehen, wo Sie stehen geblieben sind. Wenn Ihr Text fertig ist, lassen Sie ihn drei Tage lang liegen.

Schritt 2: Bitten Sie eine Person Ihres Vertrauens, Ihnen den Text kommentarlos vorzulesen. Berichten Sie Ihrem Gegenüber anschließend, wie Sie sich gefühlt haben, als Sie Ihre eigene Geschichte hörten. Wenn Sie möchten, kann Ihnen die Person anschließend auch mitteilen, was sie selbst beim Vorlesen empfunden und gedacht hat. Wenn Sie niemanden finden, den Sie bitten können vorzulesen, machen Sie es sich allein irgendwo gemütlich und lesen Sie sich Ihre Geschichte selbst laut vor. Nehmen Sie sich die Zeit, sich darauf zu konzentrieren, was Sie fühlen und denken, und schreiben Sie es auf.

Schritt 3: Versuchen Sie nun, die folgenden Fragen so ehrlich wie möglich zu beantworten:

  1. Nach welchen Kriterien haben Sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin ausgewählt?
  2. An welchem Punkt fingen Sie an, mit Ihrer Beziehung unzufrieden zu sein? Warum?
  3. Mit welchen Schwierigkeiten waren Sie als Paar in den vergangenen Monaten oder Jahren konfrontiert? Wie sind Sie selbst damit umgegangen? Wie Ihr Partner oder Ihre Partnerin? Haben Sie Lösungen gefunden, oder dauern die Probleme an?
  4. Wie haben Sie Ihre Zeit zwischen Ihrem Partner, Ihrer Familie und Ihren persönlichen Interessen aufgeteilt? Zwischen Arbeit, sozialen Aktivitäten und Freizeit? War die Aufteilung ausgewogen?
  5. Konnten Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin zufrieden stellend kommunizieren? Haben Sie sich seinen oder ihren Kummer angehört? Hat er oder sie sich Ihren Kummer angehört? Gab es wichtige Botschaften, die Sie einander nicht vermitteln konnten?
  6. Wie lief es im Bett? Haben Sie Ihre Sexualität als befriedigend erlebt? Und Ihr Partner oder Ihre Partnerin?
  7. Waren Geldfragen je ein Problem? War die Aufteilung der Ausgaben für Sie beide in Ordnung?
  8. Waren Sie beide stolz darauf, ein Paar zu sein, und fühlten Sie sich in Ihrer Beziehung geschätzt? Hat einer von Ihnen dem anderen Gleichgültigkeit vorgeworfen? Oder ständiges Kritisieren? Oder sogar demütigende Bemerkungen oder Verhaltensweisen?

In einer solchen Erzählübung wurde Sophia zum Beispiel klar, dass Nicolas privat und beruflich gerade extrem gestresst war, als er untreu wurde. Sie erkannte auch, dass sie ihren Partner mit dem Wunsch, er solle sich mehr Zeit für ihre Beziehung nehmen, manchmal daran hinderte, Druck abzubauen: »Ich bat ihn, seltener zum Tennis zu gehen, obwohl das von klein auf sein Ventil zum Stressabbau war.« Das Bedürfnis, Stress abzubauen, könnte einer der Gründe gewesen sein, warum Nicolas eines Abends den Annäherungsversuchen einer anderen Frau nachgab.

Das bedeutet freilich nicht, dass Nicolas, nur weil er nicht zum Tennisspielen konnte, das Recht hatte, seine Partnerin zu hintergehen. Doch es ist wichtig, jede noch so kleine Stellschraube zu kennen, die den Partner auf den Weg der Lüge geführt hat.

Stress ist ein Risikofaktor für jede Beziehung. Die Arbeiten des deutschen Psychologen Guy Bodenmann zeigen, dass eine ganze Reihe von Faktoren die Partnerschaft belasten können: zu wenig gemeinsam verbrachte Zeit, wie bei Sophia und Nicolas, aber auch die Aufteilung der Hausarbeit, die Erziehung der Kinder, das Verhältnis zur Familie des Partners oder der Partnerin, die Sexualität sowie mangelnde Kommunikation. Nehmen solche Konfliktpunkte überhand, steigt das Risiko, dass ein Partner außerhalb der Beziehung frische Luft schnappen möchte.

Die eigenen Grenzen ausloten

Wichtig ist es auch, sich das eigene Verhältnis zum Lügen genauer anzusehen. Machen Sie eine Liste mit allem, was für Sie in dieser Hinsicht noch akzeptabel ist: Können Sie damit leben, wenn Ihr Partner Ihnen verheimlicht, dass er einen erotischen Traum mit einer anderen Frau hatte? Dass er mit seiner Ex essen gegangen ist? Dass er gelegentlich an Ihrer Beziehung zweifelt?

Grundsätzlich hängt unser Verhältnis zur Lüge von unseren persönlichen Erfahrungen ab: Wer schon einmal hintergangen wurde oder in seiner Kindheit öfter miterleben musste, dass die Eltern einander etwas verheimlichten, läuft Gefahr, ein »Misstrauensmuster« zu entwickeln, wie der amerikanische Psychologe Jeffrey Young es nennt. Betroffene hegen dann ständig den Verdacht, der andere könnte sie betrügen, oft begleitet von Eifersucht. Selbst die kleinste Zweideutigkeit wird negativ interpretiert und die harmloseste Flunkerei als Beweis für eine große Lüge herangezogen.

Es leidet auch derjenige, der lügt

Eine Lüge ist schmerzhaft für die Person, die getäuscht wurde. Doch auch für den Lügner selbst ist die Situation nicht leicht. Er fühlt sich ebenfalls oft niedergeschlagen, ängstlich und gestresst. Das schlechte Gewissen nagt an ihm, manchmal bis hin zu Panikattacken oder körperlichen Beschwerden wie Bauchkrämpfen, Kopfschmerzen und Übelkeit. Zudem verlieren wir selbst die Achtung vor uns, wenn wir lügen.

Laut dem US-Psychiater Daniel Langleben besteht die Standardreaktion unseres Gehirns darin, die Wahrheit zu sagen. Zu lügen erfordert eine gewisse kognitive Anstrengung, da man die Wahrheit unterdrückt. Zudem muss man sich mit dem emotionalen Durcheinander auseinandersetzen, das in aller Regel die Folge davon ist. Um zu verhindern, dass er entlarvt wird, muss der Lügende außerdem das Risiko einkalkulieren, dass er erwischt werden könnte. Ebenso muss er sich an das Gesagte erinnern (also sein Gedächtnis mobilisieren) und die beste Strategie wählen, um eine neue Antwort zu erfinden. Alles in allem kostet lügen damit mental eine Menge Energie.

Beide Partner sollten die gleiche Analyse durchführen: Wie halten wir es mit der Ehrlichkeit? Und warum? Am Ende müssen meist beide Seiten an sich arbeiten. Dabei hilft es, sich auf Regeln und Grenzen zu einigen, die beide zu respektieren haben.

Sophia erkannte durch diese Übung, wie sehr sie dazu neigte, alles kontrollieren zu wollen und Nicolas anzugreifen, sobald er anderer Meinung war als sie. Zudem wurde ihr klar, dass ihr Partner nie richtig gelernt hatte, sich jemandem offen anzuvertrauen. »Er will Konflikte um jeden Preis vermeiden und belügt seine Freunde oder seine Familie, nur um sich nicht erklären zu müssen«, sagt sie. Da Nicolas gelegentlich aus Bequemlichkeit flunkerte und Sophia ziemlich aufbrausend sein konnte, waren kleine Lügen bloß eine Frage der Zeit. Und später dann auch große.

Das Vertrauen wiederherstellen

Um das verlorene Vertrauen am Ende wiederherzustellen, ist es wichtig, Raum für Kommunikation zu schaffen und regelmäßig über Gefühle und offene Fragen zu sprechen: Wie entwickeln sich die Konflikte weiter? Bringt das neue Verhalten die erwünschten Verbesserungen? Die Partner sollten hier gemeinsam den besten Zeitpunkt für diese Gespräche ausloten (zum Beispiel am Abend oder am Wochenende) und einen bestimmten Rhythmus festlegen, der beiden passt (etwa einmal pro Woche).

Versuche, den Partner um jeden Preis für sein Verhalten zu bestrafen, bringen wenig. Zwar muss derjenige, der gelogen hat, sich der ganzen Tragweite seiner Unehrlichkeit bewusst werden und verstehen, was es bedeutet, dass er den Pakt der Ehe oder der Beziehung verraten hat. Soll das verlorene Vertrauen wiederhergestellt und die Krise gemeinsam überwunden werden, müssen sich beide Partner aber vor allem wieder als Team begreifen.

Auch Sophia hat eingesehen, dass sie Kompromisse eingehen muss. Lügt Nicolas wieder einmal jemanden an, dann sagt sie sich, dass das eben einer seiner Wesenszüge ist und nicht unbedingt ein negativer: Oft entspringt das Flunkern seinem Wunsch, andere Menschen nicht zu verletzen oder unnötig zu ängstigen. Sie versucht dann, sich nicht einzumischen und nicht ständig zu kontrollieren, was er sagt oder tut. Ganz anders sieht das innerhalb ihrer Beziehung aus: Hier verlangt sie auch in trivialen Dingen absolute Ehrlichkeit von ihm, zumindest so lange, bis sie ihm wieder voll und ganz vertrauen kann.

Fünf Schritte, um ein neues Kapitel aufzuschlagen

Nach einer gravierenden Lüge sind in der Regel mehrere Schritte erforderlich, um das verlorene Vertrauen innerhalb der Beziehung wiederherzustellen:

  1. Beschreiben Sie die Lüge so genau wie möglich.
  2. Klären Sie, welche Gefühle die Lüge bei Ihnen ausgelöst hat.
  3. Nehmen Sie diese Gefühle an.
  4. Versuchen Sie zu verstehen, warum der andere unaufrichtig war.
  5. Lernen Sie, in Zukunft besser mit Konflikten innerhalb Ihrer Partnerschaft umzugehen.

Manche Menschen schaffen es, dem Partner irgendwann vollständig zu vergeben. Dennoch sollte man die Aufarbeitung nicht zu schnell abhaken. Ein Neubeginn braucht Zeit. Auch Sophia ist immer noch zwiespältig. Auf der einen Seite sagt sie: »Auch wenn ich mich entschieden habe, bei meinem Partner zu bleiben, und wir weiter an unserer Beziehung arbeiten, habe ich ihm noch nicht verziehen.« Sie gesteht jedoch auch: »Im Moment sind wir sehr verliebt. Niemand könnte ihn mir ersetzen. Ich fühle mich sehr wohl an seiner Seite.« Für ihre Beziehung ist das ein gigantischer Schritt.

Kommt eine Lüge ans Licht, ist das nicht zwangsläufig das Ende der Partnerschaft. In manchen Fällen kann eine Trennung allerdings auch der bessere Weg sein. Zum Beispiel, wenn man bei der oben beschriebenen Analyse zu dem Schluss kommt, dass die Beziehung nur noch Fassade ist. Oder schlimmer: dass sie toxisch ist. So war es etwa bei der 30-jährigen Melissa, die ebenfalls zu mir in die Beratung kam. Sie war mit Adam zusammen, der sie ständig belog und ihr Schuldgefühle einredete: weil sie mit einem anderen Mann gesprochen oder sich einen auffälligen roten Mantel gekauft hatte – angeblich, um die Blicke auf sich zu ziehen. Adam verstand es, seine Partnerin so geschickt zu manipulieren, dass es mehrere Therapiesitzungen brauchte, bis Melissa das Geschehen durchschaute.

Steckt man in einer derart festgefahrenen Situation, ist es besser, getrennte Wege zu gehen. Die neue Partnerschaft sollte man offen und vertrauensvoll beginnen. Wer infolge seiner schlechten Erfahrungen mit Misstrauen in eine neue Beziehung startet, muss dann vielleicht wieder von Grund auf zu vertrauen lernen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.